Physiotherapie in China – Aufbruchstimmung im Land der Mitte

Lesedauer: 3:30 Minuten

Physiotherapie in China – Fernöstliche Traditionen und westliche Wissenschaft.

Im chinesischen Gesundheitssystem wird traditionelle chinesische Medizin (TCM) mit westlicher Medizin bereits gleichgestellt. Therapieformen á la Physiotherapie, Ergotherapie und Logopädie auf der anderen Seite, haben diesen Status noch nicht erreicht. In diesem Artikel sehen wir uns die historische Entwicklung und die derzeitige Lage im Land der Mitte an.

Als China den Zuschlag für die Olympischen Sommerspiele im Jahr 2008 erhielt, wurde auch offiziell der Startschuss für Physiotherapie geben. Die chinesische Regierung erteilte erstmals die Erlaubnis für physiotherapeutische Programme. Die staatliche Anerkennung von Physiotherapie als eigenständiger Beruf ist jedoch bis heute ausgeblieben.

Das Nationalstadion in Peking: „Vogelnest“

Das Nationalstadion „Vogelnest“ eigens für die Olympia errichtet

Traditionelle Wurzeln und Aufbruchstimmung

Interessanterweise war es laut Historikern aber der berühmte chinesische Mediziner Hua Tuo (AD 200), der seinen Patienten erstmals Bewegung und Gymnastik als Heilmethode verordnete. Seit ewigen Zeiten wird Bewegung in der chinesische Kultur mit positiven Nebeneffekten, wie Stressminderung und körperlichem Wohlbefinden assoziiert. So praktizieren tagein, tagaus viele Chinesen Bewegung in Form von antikem Tai Chi.

Tai Chi unter freiem Himmel

Tai Chi unter freiem Himmel – © Hanumann

Die Notwendigkeit, für körperliche Rehabilitation (zB Physiotherapie) ist gegeben und von der Regierung anerkannt. In einem Bericht der Volkspartei – noch aus dem Jahr 2001 – wird auf dessen Wichtigkeit hingewiesen, was auch zu zahlreichen Verbesserungen dieses Therapie-Sektors geführt hat. Besonders die notwendige Infrastruktur wurde binnen kürzester Zeit aus dem Boden gestampft. Beispielsweise wurden Rehabilitationszentren, spezielle Rehabilitations-Krankenhäuser und weitere gemeinschaftliche Institutionen errichtet.

Der Unterschied zwischen China und Zentraleuropa

In deutlichem Gegensatz zur rasanten Entwicklung von Rehabilitationseinrichtungen befindet sich die Ausbildung von eigenständigen Therapeuten, so wie wir sie kennen, noch in den Kinderschuhen. Es gibt zwar “Rehabilitationsmedizin” als verpflichtendes Lehrfach, dieses vermittelt aber nur ein breitgefächertes Allgemeinverständnis und kein Fachwissen. Beispielsweise gibt es momentan erst vier Universitäten – in einem Land mit knapp 1.4 Milliarden Einwohnern – welche einen eigenständigen, international (von WCPT – World Confederation for Physical Therapy) anerkannten Studiengang für Physiotherapie anbieten. Zum Vergleich: Alleine in Niederösterreich und Wien gibt es vier Fachhochschulen bzw. Universitäten mit dem gleichen Ausbildungsschwerpunkt.

Therapeuten werden in China grundsätzlich in drei Fachbereiche eingeteilt: Physiotherapie, Ergotherapie und Logopädie. Verschiedene Ausbildungsprogramme werden in Ärzteschulen, Sportinstitutionen und TCM-Schulen angeboten. Dementsprechend gibt es auch eine große Anzahl an unterschiedlichen Abschlüssen, weitreichend von Pflichtschulabschlüssen bis hin zu Bakkalaureaten.

Nach der Ausbildung arbeiten die meisten Therapeuten im Krankenhaus. Dort praktizieren sie unter der Weisung von Ärzten und nehmen eher die Rolle eines Assistenten, als die eines selbstständigen Therapeuten ein.

Das Qi - "Lebensenergie des Körpers"

Das Qi – „Lebensenergie des Körpers“

Auch Fachbereichswechsel sind hier keine Seltenheit. Es gibt zahlreiche Fälle, wo langjährige Physiotherapeuten in die Rolle von Ergotherapeuten schlüpfen, oder auch Logopädie anbieten, um ihr Angebot zu erweitern.

Bei der direkten Anwendung der Physiotherapie gibt es ebenfalls Unterschiede. In der westlichen Welt wird zunächst ein medizinisches Gutachten erstellt. Darauf folgt die eigentliche, wissenschaftlich fundierte Therapie mit starkem Fokus auf aktiven Übungen.

In China hingegen dominiert die Anwendung von wirkenden Mitteln (Wachs-Therapie, Elektrotherapie, Lichttherapie etc.), Massage und passiven Übungen. Das liegt großteils an der alten chinesischen Tradition, dass kranke oder ältere Menschen mit Samthandschuhen angefasst werden müssen und nicht “aktiv” sein sollen.

Welche Probleme ergeben sich daraus?

Ein grundlegendes Problem ist einerseits das mangelnde Verständnis der Bevölkerung für Physiotherapie und andererseits das ungewohnte “westliche” Konzept mit Fokus auf aktiver physischer Beteiligung des Patienten. Während viele Krankenhäuser zwar gerne auf internationale Standards aufrüsten würden, ist ein Teil davon nach wie vor von gewohnten Praktiken (zB Elektrotherapie) überzeugt. Es ist jedoch ein gewisser Trend zu erkennen, dass zunehmend Wert auf westliche Anwendungen gelegt wird, um als ein “modernes” und “hippes” Institut zu gelten.

Ein weiteres, nicht zu unterschätzendes Problem ist sowohl die fehlende Anzahl an international standardisierten Ausbildungsprogrammen, als auch der Mangel an qualifizierten Lehrpersonen. So fordert die WCPT, dass die Kernphase des Physiotherapie Studiums von qualifizierten Physiotherapeuten unterrichtet wird und nicht von praktischen Ärzten oder anderweitig ausgebildeten Fachleuten.

Eine ungewisse Zukunft…

China steht noch ein langer Weg bevor, um im Bereich der Physiotherapie an westliches Niveau anschließen zu können. Wir sind auf jeden Fall gespannt, wie sich die Lage in den nächsten Jahren verändern wird. Wird China den westlichen Weg anstreben oder bildet sich ein harmonisches Zusammenleben fernöstlicher Traditionen mit westlicher Wissenschaft?

Hong Kong - der "Westen" in China

Hong Kong – der „Westen“ in China

 

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