Eine Psychotherapie Praxis als Familienbetrieb – mit Manuela Hofer-Hartnig

Lesedauer: 9:30 Minuten
Psychotherapeutin Manuela Hofer-Hartnig

Gemeinsam mit ihrem Mann und mittlerweile auch ihren beiden Kindern arbeitet Manuela Hofer-Hartnig als Psychotherapeutin in einer Gemeinschaftspraxis. Der Schlüssel dazu: Leidenschaft und eine gute Kommunikation. Die gebürtige Vorarlbergerin, die über die Sozialarbeit zur Psychotherapie kam, ist zwar eigentlich schon in Pension, doch zum Arbeiten wird sie solange es möglich ist, nie aufhören. Zu groß ist die Freude am Beruf und daran, anderen Menschen das Leben etwas leichter zu machen.

Wir sprechen mit ihr darüber, wie man als Paar und nun als Familie langfristig gut zusammenarbeitet, wie sie ihren Weg in die Psychotherapie gefunden hat und warum man bei der Wahl der Beschäftigungsart nach dem Motto „Ganz oder gar nicht“ verfahren sollte.

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Hallo Manuela! Zum Einstieg erzähl uns doch ein wenig über Dich?

Manuela: Ich bin 61 Jahre alt und – mein Name verrät es schon – verheiratet, und zwar seit 38 Jahren. Ich komme ursprünglich aus Vorarlberg und arbeite als Psychotherapeutin. Dazu ist zu sagen, dass ich seit einem Jahr eigentlich schon Pensionistin bin, aber ich arbeite trotzdem in meiner Berufung weiter.

Ich komme aus einer Arbeiterfamilie. Meine Eltern, die beide in einer Textilfirma arbeiteten, wollten gerne, dass wir Kinder eine fundierte Ausbildung absolvieren. Also lernte ich zunächst das Schneiderhandwerk. Eine handwerkliche Ausbildung zu machen war eine gute Grundlage für alles weitere, was ich im Leben gemacht habe.

Ich finde es schade, dass das in unserem Bildungssystem nicht so möglich ist, also dass man, bevor man maturiert, eine handwerkliche Ausbildung macht. Ich konnte damals nicht die Matura absolvieren, aber dafür einen Aufbaulehrgang im Bereich der Sozialarbeit, der einer Berufsreifeprüfung entsprach.

Man könnte also sagen: Ich bin es von klein auf gewohnt, viel zu arbeiten, um mein Bildungsziel zu erreichen.

Adela: Ich finde Deinen Weg sehr spannend: Vom Schneiderhandwerk zur Sozialarbeit.

War die Arbeit nahe am Menschen schon immer wichtig für Dich, oder hat sich das mit der Zeit ergeben?

Manuela: Ich komme aus einer italienischen Familie. Meine Großeltern kamen als Gastarbeiter nach Österreich und unser Familiengefüge war immer sehr sozial. Helfen war immer an der Tagesordnung, und das zieht sich bis heute durch meine Familie und mein Leben, bei der Sozialarbeit ebenso wie bei der Psychotherapie. Ich hatte einfach den unbändigen Wunsch, zu studieren und aus dem kleinen Vorarlberg herauszukommen. Die Sozialarbeit war mein Weg dorthin.

Was waren die wichtigsten beruflichen Stationen im Laufe Deiner Karriere?

Manuela: Das Wichtigste war sicher die Psychotherapie-Ausbildung, die ich neben meinem Angestellten-Job absolviert habe. Mein Mann hatte sich damals schon selbstständig gemacht und als ich die Ausbildung abgeschlossen hatte, haben wir begonnen, eine Gemeinschaftspraxis zu führen.

Das war vor 25 Jahren und zum damaligen Zeitpunkt gab es zwar Beratungseinrichtungen, aber noch kaum freie Praxen. Wir hatten damals also gute Voraussetzungen und haben mit Paar- und Sexualtherapie eine spezielle Dienstleistung angeboten, die es kaum gab. Obendrein konnten wir auch oft gemeinsam mit Gruppen und Paaren arbeiten. Das war einfach die beste Kombination.

Adela: War euch gleich klar, dass ihr euch mit diesem Fokus in der Gemeinschaftspraxis selbstständig machen möchtet, oder war ein Angestelltenverhältnis für Dich auch ein Thema?

Manuela: Mir erschien der Weg der Gemeinschaftspraxis damals einfach sehr interessant, und das ist bis heute so. Viele Therapeuten haben ja zwei Standbeine, führen eine eigene Praxis, befinden sich aber auch in einem Angestelltenverhältnis. Ich nenne die immer „Hobby-TherapeutInnen“.

Ich bin der Meinung, man sollte sich entscheiden: Entweder ein Angestelltenverhältnis oder eine freie Praxis.

Was sind für Dich die größten Unterschiede zwischen der Selbstständigkeit und dem Angestelltenverhältnis?

Manuela: In der freien Praxis hat man neben den tatsächlichen Sitzungen und Terminen mit den Klientinnen und Klienten Phasen, in denen es ruhig ist, und dann auch wieder Phasen, in denen man laufend kontaktiert wird und bei Krisen vermitteln muss. Das ist natürlich etwas, das man vorab nicht planen kann. Arbeitet man in einem Angestelltenverhältnis, verweist man auf das Kriseninterventionszentrum und hat seine fixen Arbeitszeiten.

In der freien Praxis ist man so gut wie immer erreichbar und arbeitet auch außerhalb der üblichen Zeiten. Heute habe ich zB einen Termin für Samstagmorgen mit einem Paar vereinbart, das sich gerade trennt und das ich durch diese Phase begleite. Ich versuche immer innerhalb von ein bis zwei Tagen auf E-Mails und Anrufe zu antworten. Diese durchgehende Erreichbarkeit ist in der freien Praxis einfach ein wichtiger Service, den man anbietet.

Adela: War Dir das vorab so bewusst? Bevor Du Dich für die freie Praxis entschieden hast?

Manuela: Ganz so bewusst war mir das vorab nicht, aber ich bin hineingewachsen. Der Anfang war allerdings mit einer hohen Bereitschaft verbunden. Ich habe viele Termine vergeben, generell viel gegeben. Mittlerweile kann ich mir bewusster aussuchen, wie viel ich arbeiten möchte. Ich mache mindestens einen Tag frei, manchmal auch zwei. Da betreue ich aber meist meine Enkelkinder. Am Anfang wäre das nicht möglich gewesen, dass wir zB wie jetzt einfach mal vier Wochen die Praxis geschlossen halten.

Adela: Ihr arbeitet als Ehepaar seit 25 Jahren zusammen, mittlerweile auch mit euren Kindern in der Praxis…

Wie habt ihr den Rhythmus gefunden, um als Familie in einer Gemeinschaftspraxis arbeiten zu können?

Manuela: Den Rhythmus mussten wir in erster Linie vor dem Hintergrund des Geldverdienens finden. Unsere Kinder haben ja beide Psychotherapie-Ausbildungen absolviert. Das musste alles finanziert werden. Wir mussten also einen Finanzplan erstellen. Das ist sicher einer der wesentlichen Unterschiede zum Angestelltenverhältnis: Da hast du eben jeden Monat Dein Gehalt auf dem Konto. Bei der Selbstständigkeit hängt es ganz von Deiner Arbeitsleistung ab.

Ich habe kein Produkt, das ich verkaufe. Ich biete eine Leistung an, die direkt mit mir verknüpft ist. Ich kann mich nicht klonen und damit mehr Zeit anbieten. Das ist der Unterschied. Mein Mann und ich haben schon immer wieder neue „Produkte“ entwickelt, wenn man so möchte.

So bilden wir zB seit rund 15 Jahren Kollegen aus, also sind wir auch Lehrende.

Diese Weiterbildung im Bereich Paar- und Sexualtherapie verlagert dann die Arbeit eher aufs Wochenende. So werden unter der Woche wieder Zeitfenster für KlientInnen frei.

Ist es ein Vorteil der Selbstständigkeit, dass man sich die Zeit selbst einteilen kann?

Manuela: Ganz genau! Mittlerweile schließen wir im Jahr in Summe mindestens neun Wochen die Praxis. Das ist schon sehr viel. Angestellte können rund fünf Wochen Urlaub nehmen. Auch wenn ich manchmal in meinen Urlauben trotzdem erreichbar bin, kann ich mir diese Zeit frei einteilen.

Adela: Würdest Du sagen, dass die Wochen, in denen Du arbeitest, dafür intensiver sind?

Manuela: Die Arbeit wird auf jeden Fall nie weniger, aber mir macht meine Arbeit auch sehr viel Spaß. Ich werde wohl nie wirklich in Pension gehen. Solange ich klar denken und mir alle Klientengeschichten merken kann, werde ich arbeiten. Das würde ich auch allen raten: Arbeiten so lange, bis es nicht mehr geht. Pension ist schön, aber…

Adela: Man hört auf jeden Fall die Leidenschaft für Deine Berufung heraus.

Manuela: Ja, die Leidenschaft treibt mich an.

Ich trage die Idee in mir, dass ich durch meine Arbeit die Welt besser machen kann.

Vielleicht ist das eine Schnapsidee, aber über die Rückmeldungen, die ich erhalte, habe ich das Gefühl, dass ich etwas bewirken kann, und das ist schön. Da geht es nicht nur ums Finanzielle, sondern darum, Menschen glücklich zu machen und Paare wieder zu verbinden.

Wie viel Zeit wendest Du für Termine mit KlientInnen auf und wie viel für administrative Dinge, Workshops…?

Manuela: Ich habe eine fixe Wocheneinteilung. Am Montag betreuen wir unsere Enkelkinder in Wien. Dienstag arbeite ich immer den ganzen Tag, meistens von 9:00 bis 20:00 Uhr mit Pause. Am Mittwoch habe ich immer frei. Da kümmere ich mich meist um administrative Angelegenheiten, E-Mails usw. Am Donnerstag und Freitag arbeiten wir. Ich finde, der wichtige Punkt dabei ist, dass man gute Wege zur Regeneration findet. Das habe ich für mich geschafft.

Adela: Was tust Du für Dich selbst?

Manuela: Mein Mann und ich setzen uns einmal im Jahr ein sportliches Ziel. Im letzten Jahr konnten wir das leider nicht erreichen, da wir ein Symposium organisiert haben, aber in den Jahren davor sind wir immer einen Halb- oder Viertelmarathon gelaufen. Da beginnen wir jetzt schon wieder zu trainieren und gehen drei, vier Mal die Woche laufen.

Zudem kümmere ich mich leidenschaftlich gern um meinen Garten und nähe Sachen für meine Enkeltöchter. Da ich jeden Tag so viele Geschichten höre, versuche ich, möglichst „medienfrei“ zu sein. Mein Gehirn braucht diesen ausgleichenden Reset.

Im Rückblick auf 25 Jahre Selbstständigkeit: Gibt es etwas, das Du anders machen würdest?

Manuela: Ich bin in einer Gemeinschaftspraxis mit meinen Kindern und meinem Mann, es rennt einfach gut und ich würde nichts anders machen. Es läuft so gut, dass wir mittlerweile keine neuen KlientInnen mehr aufnehmen können.

Viele denken, dass es schwierig ist, weil man sich die ganze Zeit sieht, sowohl privat als auch beruflich. Dabei ist es so, dass ich meinen Mann oft den ganzen Tag nicht sehe, da ich pünktlich aufhöre und mein Mann immer zehn Minuten überzieht. Das heißt, wir verpassen uns immer. Zudem sind die Rollen klar verteilt. Mein Mann ist der Hausmeister, ich dekoriere, die Kinder räumen den Geschirrspüler aus und entsorgen den Müll. So hat jeder seine Aufgabe.

Was ist euer Erfolgsrezept, dass ihr als Familie und beruflich so gut funktioniert?

Manuela: Ich glaube einfach, dass wir sehr gnädig miteinander sind. Natürlich haben wir Konflikte, aber wir sprechen darüber und versuchen, sie schnell zu lösen.

Wir wissen um die Fehler und Schwächen des jeweils anderen und wir haben ein Leben neben der Praxis.

Es ist manchmal nicht leicht, das miteinander zu verbinden. In der Psychotherapie ist es wirklich wichtig, dass es der eigenen Psyche gut geht, damit man die Krisen der KlientInnen lösen kann. Wenn ich mich selbst ständig mit persönlichen Krisen auseinandersetzen muss, dann wird die Arbeit anstrengend.

Adela: Was war rückblickend die schwierigste Zeit, die ihr gemeinsam durchstanden habt?

Manuela: Eine sehr persönliche Frage. Der Partner unserer Tochter ist an Krebs erkrankt und verstorben. Die zwei Jahre, in denen wir ihn und sie begleitet haben, waren sicher die schwierigsten und die größte Herausforderung bislang.

Adela: Umso schöner, dass ihr jetzt – wie es scheint – noch enger miteinander verbunden seid.

Hast Du im Laufe Deines Lebens einen Rat bekommen, der Dir besonders im Gedächtnis geblieben ist?

Manuela: Ich habe wenige Ratschläge bekommen, aber es gibt einen Spruch, der mich mein Leben lang begleitet und den ich gerne teilen möchte:

Alle sagen, das geht nicht. Da kam eine, die wusste das nicht und hat es gemacht.

Es geht viel ums Tun. Man muss es probieren und querdenken. Ich habe den Spruch in unserem Warteraum tapeziert. Es ist der Weg vom passiven Erleiden hin zum aktiven Handeln.

Hast Du einen Tipp für TherapeutInnen, die sich neu selbstständig machen möchten?

Manuela: Es braucht auf jeden Fall einen guten Finanzplan. Das würde ich jedem empfehlen, denn die Steuerlast ist nicht ohne und auch die Sozialversicherung darf man nicht unterschätzen. Weiters sollte man von sich selbst und von dem, was man anstrebt, überzeugt sein. Man muss für seine Sache brennen, aber sich auch gut begleiten lassen auf diesem Weg. Das muss nicht unbedingt gleich eine Therapie sein, aber so etwas wie ein Coaching. Es braucht definitiv Leidenschaft. Man muss der Leuchtturm für sich selbst und für andere in dieser Welt sein.

Dazu gehört auch das Thema Weiterbildung. Wie handhabst Du das?

Manuela: Wir besuchen sehr viele Kongresse, bilden aber auch selbst KollegInnen aus. Das heißt, wir müssen viel selbst vorbereiten und vortragen. Mein Mann und ich versuchen, im Rahmen der Möglichkeiten neue Produkte zu entwickeln. Wir schreiben keine Bücher – das geht sich zeitlich nicht aus – aber wir entwickeln Spiele und Karten und dafür bin ich immer auf dem Laufenden.

Wo kann man mehr über euch und eure Arbeit erfahren?

Manuela: Unter hoferpsychotherapie.at und zaubersaetze.com.

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