Der Weg in meine Selbstständigkeit als Physiotherapeutin – mit Deborah Rittwagen
Neugierde und der Wunsch, PatientInnen möglichst umfassend beraten und betreuen zu können – das treibt Deborah Rittwagen an. Als Physiotherapeutin und Heilpraktikerin betreibt sie seit rund einem Jahr ihre eigene Praxis in Erlangen und hat sich zusätzlich zu ihren Ausbildungen auf die Fachgebiete Frauen- und Darmgesundheit spezialisiert. Der Schritt in die Selbstständigkeit war motiviert von dem Wunsch, sich mehr Zeit für ihre PatientInnen nehmen und einen ganzheitlichen Ansatz verfolgen zu können.
Im Gespräch erzählt sie von ihrem Weg in die Selbstständigkeit, was sie heute anders machen würde und wie wichtig es ist, sich Verbündete zu suchen und sich ein Leben lang weiterzubilden.
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Du warst im Laufe Deiner Karriere in unterschiedlichen Beschäftigungs- und Praxisvarianten tätig. Was hat Dich dazu bewogen, Dich nun selbstständig zu machen?
Deborah: Ich habe als Physiotherapeutin in einem Angestelltenverhältnis begonnen, dann eine Zeit lang nebenher ein Gewerbe als Personaltrainerin betrieben und mich schließlich vor einem Jahr als Heilpraktikerin selbstständig gemacht.
Ich liebe die Selbstständigkeit, weil ich meine eigenen Entscheidungen treffen kann und im Gegensatz zum Angestelltenverhältnis so arbeiten kann, wie ich es möchte.
Ich arbeite jetzt zwar mehr als davor und wahrscheinlich wird sich mein Tätigkeitsbereich demnächst aufgrund eines zusätzlichen Gewerbes noch erweitern, aber ich arbeite trotzdem viel freier.
Was war der ausschlaggebende Grund, den Schritt in die Selbstständigkeit zu wagen?
Deborah: Ich hatte schon längere Zeit darüber nachgedacht und wusste einfach, dass ich nicht den Rest meines Berufslebens als Angestellte verbringen möchte. Ich habe mich aber nicht so recht getraut, den Schritt zu machen, und habe lange Zeit – man könnte sagen – um den heißen Brei herum gearbeitet. Dann kam die Pandemie und ich wurde gekündigt. Das war für mich dann der Anstoß, um zu sagen:
Jetzt ist es so weit, ich mache mich selbstständig.
Adela: Spannend, wie einem das Leben manchmal die Entscheidungen abnimmt.
Deborah: Das stimmt. Positiv kam hinzu, dass es in meinem Leben Menschen gab, die mich zusätzlich in Richtung Selbstständigkeit geschubst haben. Das war auf jeden Fall hilfreich.
Adela: Du meintest vorhin, dass Du anders arbeiten kannst als in einem Angestelltenverhältnis.
Wie genau gehst Du Dinge in Deiner eigenen Praxis an, sei es fachlich, organisatorisch oder auch betriebswirtschaftlich?
Deborah: Ich habe zuvor in einer Praxis gearbeitet, die sich auf Faszientherapie spezialisiert hat, und das war mir irgendwann zu wenig. Obwohl natürlich jede/r PatientIn anders ist, ist die Arbeit recht ähnlich und man hat als Therapeutin nicht die Möglichkeit, sein Wissen vollends anzuwenden, geschweige denn zu erweitern.
Die PatientInnen wurden zudem nur an der Stelle behandelt, wo das konkrete Problem lag. Für eine ganzheitliche Betrachtung der Lebensumstände war in den 30 Minuten Behandlungszeit kaum Platz. In einer halben Stunde Anamnese, Behandlung und Beratung unterzubringen, wie man die Probleme langfristig in den Griff bekommt, ist praktisch unmöglich. Außer man überhäuft seine PatientInnen mit viel zu viel Input. Das war eines der wichtigsten Ziele, die ich mir für die Selbstständigkeit gesetzt hatte:
Ich möchte mir die Zeit nehmen, um Patienten ganzheitlich und in Ruhe zu beraten.
Mittlerweile nehme ich mir bis zu zwei Stunden für die Anamnese Zeit und merke, dass das sehr gut bei den PatientInnen ankommt. Schon allein, dass sich jemand die Zeit nimmt und sich in Ruhe ihre Geschichte anhört und dann Lösungen anbietet, die sie langfristig anwenden können.
Was die Business-Ebene anbelangt, habe ich bereits in der vorherigen Praxis begonnen, bei Instagram mitzumachen. Das habe ich in der Selbstständigkeit jetzt ausgebaut und arbeite mich mehr und mehr in die Thematik ein. Es fällt mir nicht ganz leicht, aber es ist auch ein kreativer Prozess, der mir sehr viel Spaß macht. Ich bin sehr kreativ veranlagt und habe nun die Freiheit, schönen Content zu produzieren und so zu gestalten, wie er mir gefällt.
Adela: Du bietest auf Deinem Instagram-Kanal viele unterschiedliche Reels, Stories und Beiträge an. Man merkt, dass Du den Anspruch hast, Deine PatientInnen und FollowerInnen mit hochwertigem und vielfältigem Content zu versorgen.
Seit einem Jahr bist Du nun in der Selbstständigkeit. Was sind für Dich bisher die größten Learnings?
Deborah: Ich habe begonnen, an diesem Projekt zu arbeiten, und habe meine Ideen und Vorstellungen noch gefühlt 10.000-mal umgestellt. Das kann ein Problem werden, und es ist sicher sinnvoll, sich Menschen zu suchen, die sich in den Bereichen auskennen, wo man selbst nicht so viel Ahnung hat – wie zB Marketing oder Steuern – und sich in Ruhe eine durchdachte Strategie zurechtlegen.
Ich habe zB meine Visitenkarten und Flyer X-mal umgestaltet. Das hat unglaublich viel Zeit und Nerven gekostet. Wenn ich dafür jemanden engagiert hätte und meine Energie in andere Dinge investiert hätte, wäre es sicher sinnvoller gewesen und ich wäre auch schneller vorangekommen.
Die neu gewonnene Freiheit führt natürlich auch dazu, dass man seine eigene Arbeitsweise entwickeln muss. Das dauert und ich denke, ich habe diesen Prozess immer noch nicht ganz abgeschlossen. Ich bilde mich gerade im Bereich Frauengesundheit weiter. Hier bin ich gerade dabei, dieses Wissen in Form von Grafiken und Bildern, die ich den KundInnen zeigen kann, aufzubereiten.
Ich muss mir auch überlegen, wie ich KundInnen einplane, die eine ganzheitliche Beratung in diesem Bereich wünschen. Ich muss auch hier Unterlagen vorbereiten, die ich ihnen mitgeben kann. Wenn zB jemand wegen einer Darmberatung zu mir kommt, gebe ich ein Template mit, in dem die Person dann eine Woche lang mitschreibt, was sie zu sich nimmt und wie es ihr dabei geht. Mit einem Wort:
Man muss Wege erarbeiten, um gut organisiert zu sein und Mehrwert für PatientInnen zu schaffen, indem man sich laufend weiterbildet und zB ergänzendes Material bereitstellt.
Adela: Kannst Du prozentuell festmachen, wie viel Zeit Du mit welchen Tätigkeiten verbringst?
Deborah: Das ist schwer zu sagen. Es gibt Wochen, da widme ich mich zu 80 Prozent den Patienten und zu 20 Prozent organisatorischen und geschäftlichen Belangen. Es gibt aber auch Zeiten, da ist das Verhältnis 50:50. Man muss sehr anpassungsfähig sein. Vor allem am Beginn, wo die Terminauslastung noch sehr fluktuieren kann und Termine mitunter auch kurzfristig gebucht werden. Manchmal habe ich zB Anfang der Woche nur eine Patientin oder einen Patienten eingetragen. Und dann melden sich am Vorabend auf einmal noch sechs PatientInnen, die spontan nach einem Termin fragen.
Adela: Anpassungsfähigkeit ist also eine gute und wichtige Eigenschaft. Die Dinge so nehmen, wie sie kommen, und die eigenen Ressourcen dementsprechend gut einzuteilen.
Deborah: Ja, etwas, das ich gar nicht gut kann. (lacht) Ich bin ein sehr strukturierter Mensch. Ich weiß gerne, was passiert und was auf mich zukommt. Wer mich kennt, weiß, wie gerne ich Listen schreibe, und wenn diese dann jede Woche über den Haufen geworfen werden, dann ist das grausam für jemanden wie mich! Aber ich finde meinen Weg.
Beispielsweise teile ich meine wöchentlichen To-Dos in vier Kategorien auf:
- Wichtig und muss sofort erledigt werden.
- Wichtig und hat noch etwas Zeit.
- Unwichtig, möchte ich aber gerne sofort machen.
- Unwichtig und hat noch Zeit.
Das hilft mir, meine Aufgaben zu strukturieren – auch wenn sich die Pläne ändern. Perfekt ist es aber noch nicht.
Adela: Sich selbst Leitlinien zu setzen ist – auch aus eigener Erfahrung gesprochen – immer hilfreich. Ich denke, es macht unseren Zuhörern und Lesern, die auch gerade ihren persönlichen Weg in die Selbstständigkeit finden, Mut, dass es auch anderen ähnlich geht.
Rückblickend betrachtet: Gibt es etwas, das Du anders machen würdest?
Deborah: Ganz viel wahrscheinlich! Aber fürs Erste würde ich mich zu Beginn nicht komplett selbstständig machen, sondern Teilzeit und Selbstständigkeit kombinieren.
Viele PatientInnen meinten: „Wenn Du Dich selbstständig machst, dann komme ich auf jeden Fall zu Dir in die Praxis.“ Ich bin dann von Null auf Hundert in die Selbstständigkeit geprescht und muss ganz ehrlich sagen: Einige der PatientInnen sind mir dann doch nicht gefolgt. Ich hatte seit dem Start meiner Praxis noch nie eine Woche ohne PatientInnen, aber ein Backup in Form einer Teilzeitanstellung wäre sinnvoll gewesen.
Ich bin im ersten Jahr der Selbstständigkeit stressbedingt sicher um fünf Jahre gealtert.
Hinzu kamen noch zwei Umzüge und Angelegenheiten in meinem Privatleben. Es war einfach zu viel des Guten. Deshalb mein Tipp: Mach einen Schritt nach dem anderen. Bis eine neue Praxis gut läuft, dauert es im Schnitt drei bis fünf Jahre.
Adela: Wie hast Du nach diesem Reality-Check entschieden, dranzubleiben und weiterzumachen?
Deborah: Das Wichtigste ist wohl, an die eigenen Fähigkeiten zu glauben. Ich bin davon überzeugt, dass meine Praxis durch die Decke gehen wird! Das gibt mir die Motivation, weiter mein Ding durchzuziehen. Ich bilde mich intensiv fort, und wenn man das gut und gerne macht, dann kommt auch der langfristige Erfolg.
Adela: Eine Einstellung, von der man sich eine große Scheibe abschneiden kann.
Gab es im Laufe Deines Weges in die Selbstständigkeit einen Rat, der Dir weitergeholfen hat und Dir in Erinnerung geblieben ist?
Deborah: Mein Freund meinte einmal:
Je mehr Du lernst und je mehr Du weißt, desto mehr wirst Du merken, wie wenig Du weißt.
In unserem Beruf ist es so, dass man sich laufend weiterbildet. Man muss dabei die Ruhe finden und sich bewusst machen, dass man ein/e ewige/r SchülerIn bleiben wird. Man muss stetig Neues lernen, ver- und wieder neu erlernen. Weil die Studie von gestern heute vielleicht schon nicht mehr gültig ist. Dabei muss man offenbleiben und sich selbst und seine Methoden immer wieder hinterfragen, vor allem um den PatientInnen so effizient und sinnvoll wie möglich helfen zu können.
Was würdest Du einer Therapeutin oder einem Therapeuten auf dem Weg in die Selbstständigkeit raten?
Deborah: Beschäftige Dich mit Steuern. Es ist superwichtig, sich mit der Bürokratie auseinanderzusetzen und sich Unterstützung in diesen Belangen zu suchen. Um zB zu wissen, was auf der eigenen Website stehen muss und darf. Das ist wichtiger als die Farbe des Logos.
Was viele – auch ich – gerne machen, ist, sich mit Dingen zu beschäftigen, die einem persönlich Spaß machen, aber nicht so wichtig sind. Ich designe gerne und dann steht eben zuerst das Design und danach erst der Inhalt, was oftmals nicht gut ist. Und natürlich – was ich vorhin schon erwähnt habe – Verbündete suchen und alles langsam angehen.
Adela: Ein wichtiges Thema, das du schon angesprochen hast, ist die Weiterbildung.
Wie schaffst Du es, immer auf dem Laufenden zu bleiben?
Deborah: Ich poste auf meinem Blog und auf Instagram über diverse, interessante Themen. Ich habe da einen gewissen Druck abzuliefern, und das motiviert mich zusätzlich, mich in die Themen zu vertiefen. Zudem ist es ein gutes Marketing-Tool. Ich beschäftige mich viel mit Studien, damit meine Beiträge evidenzbasiert und belegbar sind. Speziell jetzt, wo der Sektor wächst und es einige gibt, die das in Fortbildungen Gehörte einfach nur nachplappern. Das ist wie „Stille Post“ spielen: Am Ende kommt nur noch Falsches heraus.
Ich mache auch laufend kleine Fortbildungen. Zudem recherchiere ich auch immer individuell zu den Themen und Problemen, die meine PatientInnen mitbringen, und bin laufend im Dialog mit meinen KollegInnen. Es ist aber auch wichtig, dazwischen Pausen zu machen und zum Ausgleich Privatfernsehen zu schauen. (lacht)
Adela: Ich finde es spannend, dass Du Dein Wissen aus unterschiedlichen Quellen beziehst.
Deborah: Das ist sehr wichtig! Am meisten lernt man als TherapeutIn, aber immer noch bei der Arbeit mit PatientInnen. Wenn man ihnen genau erklärt, wo das Problem herkommt, profitieren beide Seiten davon. Ich gebe in solchen Sitzungen in gewisser Weise Vorträge mit passenden Bildern, um zu zeigen, was im Körper passiert.
Ich erweitere mein Wissen, um möglichst individuell helfen zu können. Meine PatientInnen erfahren, welche Möglichkeiten sie im Alltag haben, um die Probleme langfristig zu lösen.
Ich sage den Patienten immer: Ich möchte, dass Du der Experte für Dein eigenes gesundheitliches Problem wirst. Es gibt natürlich PatientInnen, die das alles gar nicht so genau wissen wollen, und TherapeutInnen, die Wissen zurückhalten, um davon zu profitieren. Da ist man bei mir in der Praxis an der falschen Adresse. Mir wurde auch schon gesagt, dass ich auf Instagram und in meinem Blog zu viel preisgebe. Ich glaube nicht, dass das Weitergeben von Wissen Irgendjemandem schadet. Die persönliche Therapie ersetzt es auf jeden Fall nicht.
Welche Wege hast Du persönlich, um Stress zu bewältigen?
Deborah: Ich plane Pausen ein, wie zB einen Handyfreien Sonntag, und ich versuche, mich mit einem positiven Umfeld zu umgeben. Mit Menschen wie meinem Partner, denen wichtig ist, was ich mache, und die mich unterstützen. Menschen, die nicht eifersüchtig sind und mich nicht bremsen. Außerdem versuche ich, mich möglichst gesund zu ernähren, treibe Sport, nehme Supplemente ein, die mir sinnvoll erscheinen, und versuche auch, bei mir selbst einen ganzheitlichen Zugang zu meiner eigenen Gesundheit zu finden.
Wo kann man mehr über Dich und Deine Arbeit erfahren?
Deborah: Auf meiner Website deborah-rittwagen.de und natürlich auf meinem Instagram-Kanal.